Adventskalender am 18. Dezember
Es gibt Weihnachtslieder, zu denen man eine besondere Beziehung hat, und die man immer wieder gerne singt. Die letzte Strophe von dem Lied: „Mit den Hirten will ich gehen“ hat mich aufgerichtet und getröstet.
Ich arbeite in der Steppe in Äthiopien, 180 km südwestlich von Addis Abeba und leitete eine Tagesklinik ganz alleine als Weißer. Tagsüber kamen 40-80 Patienten mit verschiedenen Krankheiten und Wunden. Es war im Monat Dezember. Meine Gedanken waren oft bei meiner Familie in Deutschland, denn mein Bruder lag mit 36 Jahren im Sterben. Am 21. Dezember erhielt ich die Nachricht vom Heimgang meines Bruders. Ich war so eingespannt mit der Behandlung der Patienten, dass ich kaum Zeit hatte zur Trauer.
Der 24. Dezember kam. Wieder standen viele vor der Klinik. Gegen 4:00 Uhr hatte ich alle Patienten behandelt und dann räumte ich noch das „Sprechstundenzimmer“ auf. Ich entließ meinen Übersetzer und ging rüber zu meinem Wohnhaus. Auf dem Weg überlegte ich, wie ich Heilig Abend feiern könnte. Keiner von den äthiopischen Angestellten wusste, dass heute Heilig Abend für mich ist, denn in Äthiopien feiert man Weihnachten 14 Tage später. Ich hatte auch keinen Weihnachtsschmuck oder irgendetwas, was auf Weihnachten hinweisen könnte. Ich brach einen Zedernzweig ab und legte ihn auf den Tisch. Dann fand ich 4 halb abgebrannte weiße Haushaltskerzen in einer Schublade. Gegen 18:00 Uhr wurde es dunkel. Das Abendbrot war schnell verzehrt: zwei Scheiben Brot und ein Dreieckkäse. Ich hörte noch die Nachrichten von der Deutschen Welle und dann war es still.
Ich hätte heulen können. Das sollte nun Weihnachten sein? Die 4 Kerzen leuchteten. Ich dachte an meine Familie und an die Trauer über meinen Bruder. Mein Vater las am Heiligen Abend uns fünf Jungens immer die Weihnachtsgeschichte vor und dann sangen wir einige Lieder, bevor die Bescherung war.
Wie sollte ich jetzt Weihnachten feiern? Ich schlug meine Bibel auf und begann die Weihnachtsgeschichte laut mir selber vorzulesen. Dann dankte ich Jesus, dass er auch für mich auf diese Erde gekommen ist.
Als ich ein Weihnachtslied anstimmen wollte kam mir gleich das Lied in den Sinn: „Mit den Hirten will ich gehen, meinen Heiland zu besehen…“
Die letzte Strophe sang ich immer wieder: „Mit dir selber, mein Befreier, will ich halten Weihnachtsfeier. Komm, ach komm ins Herz hinein. Lass es deine Krippe sein.“
Ich kann es nicht beschreiben. Auf einmal war ich nicht mehr alleine. Jesus feierte mit mir Weihnachten. Alle Trauer und alles Selbstmitleid waren fort und eine große Freude erfüllte mein Herz. Dann sang ich noch ein Lied. „Herbei, oh ihr Gläubigen, …“ Den Refrain wiederholte ich einige Male und ging im Kreis herum. „Oh lasset uns anbeten, oh lasset uns anbeten, oh lasset uns anbeten den König“. Ich feierte Weihnachten mit Jesus.
Am nächsten Morgen klopfte der Nachtwächter an meine Fensterscheibe und rief: „Eine Geburt wartet in der Klinik“. Ich zog schnell meinen weißen Kittel an und eilte zur Klinik. Es war die schwerste Geburt, die ich je hatte. Die Frau hatte bereits drei Tage Wehen. Es ging auf Leben und Tod. Ich schickte Stoßseufzer zum Herrn. Er half wunderbar. Nach drei Stunden kam ein gesunder Junge zur Welt – 4950 Gramm! Das war ein Weihnachtsfest, das dem eigentlichen Weihnachten sehr nahe war.
Joachim Wesner
Entnommen aus dem Adventskalenderbuch 2020
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