Advents- und Weihnachtskalender am 29. Dezember
Als mich die Mail von Anke mit der Bitte um einen Beitrag zu diesem Adventsbuch erreichte, konnte ich zunächst gar nicht genauer reinschauen – zu viel ist gerade los in meiner Firma: der Pandemieplan muss auf die aktuelle Situation angepasst werden, die Mitarbeiter fragen nach zusätzlicher Ausstattung für ihr „Home Office“, Strategie und Budgetplanung für das nächste Jahr müssen ausgearbeitet werden – der November ist schon in „durchschnittlichen“ Jahren ein turbulenter Monat, und 2020 gilt das umso mehr. Gut eine Woche nach dem Empfang der Mail fand ich dann endlich Gelegenheit, auf den beigefügten Terminplan zu schauen. Und meine erste Reaktion war: „Gott, Du altes Schlitzohr – was hast Du Dir dabei wieder gedacht?“
Anke hatte mich für den 29. Dezember eingeplant – das ist der Geburtstag meines Vaters. Am 29.12.1935 wurde er geboren, und am 17.9.1989 ist er – viel zu früh – verstorben. Im Alter von 53 Jahren und fast neun Monaten. Ich selbst bin dieses Jahr ebenfalls 53 geworden. Das hat mich etwas erschreckt und dann zum Nachdenken gebracht. Soll ich mich nun vielleicht vor dem nahenden Tod fürchten? Wenn ich mich nicht verrechnet habe, werde ich am 7.5.2021 älter sein, als mein Vater werden durfte. Oder auch nicht. Das liegt in Gottes Hand und macht mir an sich kein großes Kopfzerbrechen, mit oder ohne Corona. Ich weiß, dass ich in seiner Hand gut aufgehoben bin. Aber eines wurde mir angesichts dieses „Zufalls“ klar: es ist wichtig, rechtzeitig „ich liebe Dich“ und „Danke“ zu sagen.
Mein Vater verstarb nach monatelanger Krankheit an Leukämie. Ich befand mich damals gerade mitten im Studium und etwa 150 km von zu Hause entfernt. Zwar habe ich ihn so oft wie möglich besucht – zu Hause oder in der Klinik, je nachdem, ob er sich gerade in Chemotherapie befand. Sein Todestag kam dann aber doch überraschend. Jedenfalls sah ich das damals so. Einige Jahre später hat sich mein Blick darauf geändert: Ich hätte damals mehr als ausreichend Zeit gehabt, ihm meine Liebe und meinen Dank für alles, was er mir auf meinen Lebensweg mitgegeben hat, von Angesicht zu Angesicht auszurücken. Ich versäumte diese Gelegenheit. Und das nagte viele Jahre an mir. Eine sehr gute Freundin gab mir wiederum Jahre später einen weisen Rat: ich könnte meinem Vater einen Brief schreiben und darin alles aufschreiben, was ungesagt blieb. Das tat ich, und das tat gut. Aber: es ist nicht das Gleiche. Der Brief hat mir ermöglicht, meinen Gefühlen Ausdruck zu verleihen und mir das Versäumnis von der Seele zu schreiben. Was fehlt, ist die Reaktion meines Vaters darauf. Die habe ich mir – und ihm – mit meinem Verhalten vorenthalten.
2005 hielt Steve Jobs, der Visionär und Gründer von Apple, vor Absolventen der Universität von Stanford eine berühmt gewordene Rede. Er sprach darin unter anderem von seinem Verhältnis zum Tod – sechs Jahre bevor er selbst an Krebs starb. Folgende Sätze aus dieser Rede möchte ich zitieren: In den vergangenen 33 Jahren habe ich jeden Morgen in den Spiegel geschaut und mich selbst gefragt: Wenn heute der letzte Tag in meinem Leben wäre, würde ich das tun, was ich mir heute vorgenommen habe zu tun? Und jedes Mal wenn die Antwort „nein“ war für mehrere Tage hintereinander, wusste ich, ich muss etwas verändern.
Der Rückblick, den mir Ankes Einladung zum Schreiben eines Impulses „beschert“ hat, mag eher düster und traurig erscheinen. Aber er steht im Kontext des Weihnachtsfestes – und das ist ein leuchtender Ausblick. Denn ich bin gewiss: Gott kam auf die Welt, um mir die Freiheit zu geben, etwas zu verändern. Und ich kann mich ändern.
Ich kann meiner Familie, meinen Freunden „ich liebe Dich“ und „Danke“ sagen. Und ich kann das meinem anderen Vater, dem Ewigen Vater, sagen. Er hört mich und antwortet. Ein wunderbarer Gedanke mit dem Blick auf das kommende Jahr.
Thomas Roßner
Entnommen aus dem Adventskalenderbuch 2020
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