Heilige Mutter und heilige Nacht?

Impuls von Daniela Helfrich

Am 28. November durften wir auf unserer Mitarbeiter-Weihnachtsfeier „Wort im Abendkleid“ erleben. „Wort im Abendkleid“ – das sind Klaviersätze und Wortspiele. Tastenkunst und Wort-Akrobatik. Lesungen mit einer Prise Konzert. Heilige Geschichten treffen auf Jazz, Blues und Pop.
„Wort im Abendkleid“, das sind Daniela und Ralf Helfrich.

Wir waren von diesem Abend sehr berührt und möchten euch mit einer Geschichte von Daniela Helfrich an diesem Abend teilhaben lassen.

Gott im Bauch

„Heilige Mutter und heilige Nacht?

Ha, tatsächlich hättet ihr mich damals wahrscheinlich auf der Straße übersehen. Ich war niemand, nach dem sich die Jungs umdrehten.
Außer Joseph. Der mochte mich.

Der Hochzeitstermin stand, die Einladungen waren verschickt. Ich war beschäftigt mit Tupperpartys und der Frage, ob Spitze oder Tüll. Und Joseph zimmerte ein Bett für zwei und einen neuen Schuhschrank.

Dann kam der Engel. Was sollte ich sagen? Alles schien bereits in trockenen Tüchern. Gott wollte der Vater sein und sein Sohn neun Monate in meinem Bauch wohnen.

Und der Engel schien sicher, dass das alles ein gutes Ende nehmen würde. Also nickte ich zaghaft: „Ok, dann will ich die Mutter sein. Alles soll genauso geschehen, wie Du gesagt hast.“
Hinterher brach mir der Schweiß aus allen Poren. Mit vierzehn unehelich schwanger?! Mutter war fassungslos. Sie fühlte sich noch zu jung um Oma zu werden. Vater war ebenfalls außer sich. Ich hatte keine Zeugen für den Engelsbesuch. Der einzige Beweis war, dass ich irgendwann in keine Jeans mehr passte.

Ich konnte verstehen, dass Joseph mich sitzen lassen wollte. Er träumte von Romantik, Zweisamkeit und einem kleinen Familienunternehmen. Doch dann blieb er doch, wegen einem anderen Traum.

Alles war anders als geplant. Umstandsmode statt Traum in Weiß. Statt Hochzeitsreise ein Brief des Bundesamtes für Statistik. Persönliche Vorsprache zur Datenerfassung erforderlich. Familiäre Umstände zählten nicht als Ausrede. 158km in der letzten Schwangerschaftswoche sind ein weiter Fußweg.

Bethlehem war überfordert. Ihr kennt das ja, da kommen plötzlich so viele, die Quartiere sind begrenzt und die Mühlen der Bürokratie mahlen langsam. Irgendwann geht auch den Ehrenamtlichen die Puste aus. Und dann sind immer noch ein paar nicht untergebracht. Wir waren das Paar.

Da platzte die Fruchtblase. Bisher war ich völlig vertrauensselig gewesen, dass sich der allwissende Vater nicht mit dem Geburtstermin verrechnen würde. Jetzt war ich mir nicht mehr so sicher.

Joseph klopfte panisch an die verschlafenen Haustüren. Doch wer mich gekrümmt vor Schmerzen dort so stehen sah, verwies an die Nachbarn. Keiner wollte sich die Geburt einer Fremden auf dem Wohnzimmerteppich zumuten.

Eine ließ den Rollladen herunter und sah uns im Dunkeln immer noch auf dem Marktplatz stehen. „Versucht es mal bei Krauses!“, schrie sie herunter und winkte in Richtung Reiterhof. „Ist ausgeschildert!“. Ich musste ständig anhalten und die Wehen veratmen.

Krauses waren weder begeistert noch freundlich. Das Gästezimmer war belegt mit den Schwiegereltern. Blieb nur noch der Stall.

Die Geburt war schlimmer als in meinen kühnsten Vorstellungen und Joseph konnte kein Blut sehen. Wusste ich vorher auch nicht. Irgendwie habe ich überlebt. Und das Kind schrie aus Leibeskräften.

Als alles vorbei war, legte Joseph das Baby hastig im Futtertrog ab, um ein bisschen Ordnung zu schaffen. Da stießen plötzlich Fremde die Tür auf und überschlugen sich beim Erzählen über nächtliche Engels-Chöre.

Also doch. Der Himmel feierte. Ich strich mir das schweißnasse Haar aus der Stirn und seufzte erleichtert auf. Es war wie eine Vaterschaftsanerkennung. Hier lag Gottes Sohn, seine winzige, noch blutverschmierte Hand um meinen Zeigefinger geklammert.

Wie die meisten, die zum ersten Mal Mutter werden, war ich vor allem eins: überfordert. Ich hatte keine Ahnung vom Stillen und dem rechtzeitigen Wechseln von Stoffwindeln. War hundemüde von den Nächten, in denen ich das Baby und seine Koliken endlos in den Armen geschaukelt hatte. Joseph hingegen schlief wie ein Murmeltier.

Doch dann hatte er noch einen Traum. Einen Alptraum. Er sprang schreiend aus dem Bett, packte panisch uns beide, die Wickeltasche und den verschlafenen Esel und hetzte wie auf der Flucht die dunklen Straßen entlang. Erst am schützenden Waldrand eine knappe Erklärung. Was?! Dieses schlafende Baby in meinem Arm, sein Todesurteil sollte beschlossene Sache sein und die Soldaten schon unterwegs?

Ein Angstschauer lief mir über den Rücken und wir rannten mit Gott im Arm um sein Leben. Glaub mir, ich war keine hold lächelnde Gottesmutter, die ihr selig schlafendes Kind im Arm wiegt. Ich war einfach eine der vielen erschöpften Flüchtlingsfrauen in Ägypten, die ihr Kopftuch gerade zog und ihr Nervenkostüm, um nicht in Tränen auszubrechen. Ich stand in der Schlange und fragte mich, wer einen Asylantrag genehmigen würde, in dem wir unser Neugeborenes als politisch verfolgten Königssohn ausgaben?

Heimweh riss mein Herz in Stücke. Josephs Arbeit, die er schließlich fand, war unverschämt unterbezahlt. Im Supermarkt boten Fremde Fremdes an, sie sprachen schnell und gaben sich keine Mühe mit Ausländern. Man konnte nicht von gelungener Integration sprechen. Das Baby weinte viel und ich weinte mit. In diesen Tagen habe ich mich tatsächlich gefragt, ob Gott vergessen hatte, dass wir seinen Sohn in Pflege genommen hatten. Er schien mir zeitweise wie ein Vater, der vergaß Unterhalt zu zahlen. Dabei war er doch der Allmächtige, der alles problemlos hätte regeln können?!

Heute denke ich: vielleicht war Gott zur Ankunft seines Sohnes gar nicht auf der Suche nach einer Heile-Welt-Adresse? Vielleicht wollte er einen Alltag, der ohne Heiligenschein daherkommt?
Vielleicht wollte er in all den Momenten, in denen es nicht nach Plan läuft, sagen können: Hey, ich bin da! Für euch, die man nicht haben will. Für die ohne Platz zum Schlafen. Für euch Mütter, deren Kinder verschiedene Väter haben. Für die mit den Alpträumen. Ich bin dort, wo die Soldaten schon die Türklinke drücken und man nur knapp mit dem Leben davonkommt. Bin da für alle, die nicht in einer heilen Welt leben.

Ich bin Maria.

Glaub bloß nicht alles, was man von mir erzählt. Trotzdem. Ich bin froh, dass ich damals nickte, als der Engel mir fragend in die Augen sah. Ich bin froh, dass meine Antwort war: „Ok. Dann will ich die Mutter sein. Alles soll genauso geschehen wie du gesagt hast.“

Daniela Helfrich ist Wortkünstlerin, Mama und Autorin. Sie liebt gute Geschichten und die Momente, wo der Himmel die Erde berührt. Ihre Lesung wird musikalisch begleitet von ihrem Mann und Tastenkünstler Ralf Helfrich. Zusammen sind sie:
www.wort-im-abendkleid.de