Ich brauche neue Schuhe. Wanderschuhe. Das schränkt die Auswahl an Modellen glücklicherweise schon mal erheblich ein. Doch noch immer scheint ein übermäßig großes Angebot mich schlicht zu überfordern. Welche sind gut? Passen Größe und Form für meine Füße? Was für Anforderungen stelle ich an ein gutes Paar Schuhe? Wichtig ist natürlich, dass sie meinen Füßen bis zu den Knöcheln guten Halt bieten. Wasserdicht sollen sie sein, damit ich mir im nassen Gras keine kalten Füße hole. Schließlich spielt auch die Ästhetik eine Rolle, gefallen sollen sie mir auch noch. Langsam wird die in Frage kommende Menge an Schuhen überschaubarer. Ich nehme mir Ratschläge von anderen zu Herzen und denke an meine eigenen Erfahrungen. Es sind ja nicht meine ersten Wanderschuhe. Am Ende bleiben eine Handvoll Paare übrig und es kommt die vorerst letzte Prüfung: Anprobe. Können mich diese Schuhe gut auf meinen Wanderungen begleiten? Werden sich meine Füße auch nach etlichen Kilometern noch wohl fühlen? Ja, bei diesem Paar bin ich mir inzwischen ziemlich sicher. Wir müssen uns noch ein wenig aneinander gewöhnen, doch eigentlich können wir losgehen. Die behalt‘ ich gleich an …
1. Thessalonicher 5,21
So lautet die Jahreslosung für das Jahr 2025.
Prüfet alles – meint Paulus das ernst? Ist alles nicht doch ein bisschen viel? Schon im vergangenen Jahr ging es um ‚alles‘: „Alles, was ihr tut, geschehe in Liebe.“ (1. Korinther 16,14 / Jahreslosung 2024). Immer wieder setzt Paulus alles auf eine Karte, sowohl in seinem eigenen Leben und Dienst, wie auch in seinen Briefen und Ermahnungen an die Gemeinden.
„Alles ist mir erlaubt, aber nicht alles dient zum Guten.“
(1. Korinther 6,12)
„Es ist alles neu geworden.“
(2. Korinther 5,17)
„Sagt Dank Gott, dem Vater, allezeit für alles.“
(Epheser 5,20)
Dabei geht es Paulus sicher nicht um eine zahlen- oder mengenmäßige Erfüllung. Statt Quantität doch wohl eher Qualität. Es kommt auf die Grundausrichtung unseres Lebens an, auf die Ganzheit unseres Glaubens und Seins. Alles und in allen Christus (Kolosser 3,11) – das macht Paulus immer wieder deutlich.
Der Vers unserer Jahreslosung richtet sich jedoch eigentlich auf ein ganz spezielles Prüfobjekt. Was zunächst wie eine universelle Lebensweisheit aussieht, steht in unmittelbarem Zusammenhang mit einer weiteren Ermahnung des Paulus an die Gemeinde in Thessalonich. In den Versen vorher heißt es: „Den Geist löscht nicht aus. Prophetische Rede verachtet nicht.“ (1. Thessalonicher 5,19-20). Es geht also konkret um das Reden und Wirken des Heiligen Geistes. Während Paulus an anderer Stelle schon mal daran erinnern muss, verantwortungsvoll mit den Gaben Gottes umzugehen und nicht über das Ziel hinauszuschießen, setzt er sich hier für ein größeres Wirken des Heiligen Geistes in der Gemeinde ein. Vielleicht bestand die Gefahr, dass der Geist in allzu engagiertem menschlichem Tun erstickt wird. Oder man hatte Angst, dass in einer großen multikulturellen Handelsstadt wie Thessalonich das zarte Pflänzchen des Glaubens durch äußere Einflüsse und ‚Einreden‘ beschädigt wird.
Was auch immer der Anlass für diese spezielle Ermahnung sein mochte, Paulus versucht hier, der Gemeinde einen ausgewogenen Umgang mit diesen Dingen aufzuzeigen. Einerseits ermutigt Paulus die Christen, offen zu sein für das Reden und Wirken Gottes, auch wenn es den eigenen Erfahrungshorizont übersteigt. Dass der Heilige Geist oft auf überraschende Weise wirkt und prophetisches Reden sehr konkret in das Leben eines Menschen sprechen kann, hat nicht nur Paulus in seinem Leben erfahren. Zu allen Zeiten erleben Menschen in der Nachfolge Jesu, dass der Gott, an den sie glauben, ein lebendiger Gott ist. Ein Gott, der zu uns spricht, uns ermutigt und Wegweisung gibt. Ein Gott, der Menschen und Situationen verändert – und das in der Regel dort, wo man ihn lässt.
Andererseits stellt Paulus dieser Offenheit für das Wirken des Geistes das Prüfen an die Seite. Das eine ist hier an das andere gebunden. Dabei geht es nicht um ein Herumkritisieren, um das Aufdecken möglichst vieler Schwachstellen. Die Schuhprobe hat ja auch nicht das Ziel, möglichst viele Paare auszusortieren. Wir prüfen mit dem Blick und der Hoffnung auf ein positives Ergebnis. Bewährt es sich? Hält es, was es dem ersten Anschein nach verspricht? Kann man damit ein gutes Stück durchs Leben gehen?
Ich erinnere mich an meine Fahrprüfung. So manche Geschichte wurde sich von Fahrprüfern erzählt, die an einem schlechten Tag es nur darauf anlegten, die potentielle Schwachstelle beim Fahrschüler zu finden und ihm eine Falle zu stellen. Als der Prüfer dann auf dem Rücksitz saß und mir die ersten Anweisungen gegeben hatte, war mein Eindruck: der prüft wirklich alles. Aber nicht, um mir eine Falle zu stellen, sondern um herauszubekommen, ob ich es wirklich draufhatte. War ich verantwortungsvoll genug, um ein Fahrzeug sicher durch den Verkehr zu lenken? Ja, das war ich und bekam am Ende das gewünschte Ergebnis.
Beim TÜV für das Auto ist es ähnlich. Wir haben dabei auch oft das Bild von einem Prüfer, der möglichst viele Mängel auflisten möchte. Doch eigentlich geht es auch hier um eine Prüfung mit Blick auf das Positive. Funktionieren die Bremsen? Fährt das Auto sicher? Sehe ich im Dunkeln genug und werde gesehen? Ich bin jedenfalls sehr froh um diese Gewissheit, die mir der TÜV für mein Auto bis jetzt immer wieder bescheinigt. Wie bei einem guten Paar Wanderschuhe, bei denen ich mich darauf verlasse, dass sie nicht mitten auf dem Weg unvorhergesehen die Sohle verlieren.
Wenn wir also bei so vielen wichtigen Dingen im Leben Wert auf eine gute Prüfung legen, warum sollten wir es dann nicht auch bei geistlichen Dingen tun? Geben mir Worte und Erfahrungen, die ich als Christ mache, Halt für mein Leben? Sind sie beständig und wertvoll? Und vor allem: wird darin etwas vom Wesen und von der Größe Gottes, von seiner Liebe für mich und die Welt sichtbar? Als Kriterium für das Prüfen, Sortieren und Behalten nennt Paulus hier ‚das Gute‘. „Gut ist nur Gott, sonst niemand.“, sagt Jesus zu dem reichen jungen Mann, der ihn nach dem Weg zum ewigen Leben fragt (Lukas 18,18). Das Gute gibt es nur in der Verbindung mit Gott. Das macht die Bibel von Anfang an deutlich (vergl. 1. Mose 1). Auch Paulus meint mit dem Wort ‚das Gute‘ etwas, das wesensmäßig gut, von guter Art ist. Es bedeutet auch das Schöne und Harmonische, das in Harmonie mit Gott steht. Genau das sollen wir behalten.
So könnte man also auch sagen, die Prüfung dient dazu, mein Leben schöner und harmonischer zu machen, Gott ähnlicher. Das Gute behaltet, nicht alles. Aber alles, was wir behalten, soll gut sein, Gott ähnlich und ihn ehren. Alles andere können wir getrost beiseitelassen oder zurück ins Regal stellen.
Die guten Dinge, die mir begegnen, die mein Leben bereichern und verschönern und Gott, den einen, der wirklich gut ist, erkennen lassen – die behalt‘ ich.
1. Thessalonicher 5,12-22